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Und immer noch mein Lieblingsbuch

Nikos Katzantzakis: Alexis Sorbas

Kreta in den 1920er Jahren: der gedankenschwere Ich-Erzähler, ein werdender Schriftsteller der Lenin, Jesus und Nietzsche verehrt und überdies an einem Buch über Buddha arbeitet, sucht dann doch den Weg ins praktische Leben. Sein Plan, eine stillgelegte Kohlemine wieder flott zu machen, hat Tücken. Er muss leider feststellen, dass er trotz oder wegen all der Bücher vom wahren Lauf der Dinge nicht die leiseste Ahnung hat. Wie gut, dass es seinen Vorarbeiter Alexis Sorbas gibt, der ihm beibringt mit beiden Beinen in der Brandung des Lebens zu stehen ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren - der ihn lehrt fest zuzuschlagen, „das Leben zu lieben und den Tod nicht zu fürchten“ und der ihm zeigt, wo die Wirklichkeit wohnt: hier, bei uns und jetzt, in diesem Moment.

 

Der autobiographisch gefärbte Klassiker von Kazantzakis ist für mich immer noch die beste Betriebsanleitung für ein großes und freies Leben - ein Batteriebuch, an das man sich anschließt um dann leuchtend in den Tag zu gehen.

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Sweet Surrender

Ian McEwan: Honig

Es gibt Übersetzungen, die reichhaltiger sind als ihre Vorlagen, farbiger, vieldeutiger, fruchtbarer. Helmut Schmitz ist mit der Findung des deutschen Titels für den neuen Ian McEwan eine solch glückliche Fügung gelungen. Aus „Sweet Tooth“ wird „Honig“, aus der Vorliebe für Süßes eine komplexere Metapher, die Kultivieren und Sammeln, (erotische) Anziehungskraft und Kleben-Bleiben, Aufbereiten und Aufheben umfasst und in deren Hintergrund ein komplexes soziobiologisches System am Wirken ist.

 

Honig auch als ein Medium das sich klaren Kategorien wie fest oder flüssig verweigert, gleichzeitig trennt und verbindet, Wunden heilt oder erstickend wirken kann. Und Honig auch (wie in der Sirupflasche in Alice in Wonderland) als eine Dimension gedehnter McEwan-Zeit, langsam verfließend bis zu einer Bruchkante um dann plötzlich schnell zu verrinnen, in der ein kurzes Teegespräch die Länge von 30 Seite annimmt und dann wieder 30 Jahre die Länge eines kurzen Teegesprächs. Honig – eine der treffendsten Beschreibung wie ein McEwan Roman denn sei. Eben so.

 

Honig also, McEwans elfter Roman, ist eine mal schnelle, mal langsame aber immer am Punkt bleibende Großerzählung über die notwendige Kunst der gegenseitigen Täuschung. Camoufliert durch eine vordergründige Agentenstory belegt sie im Kern eindrucksvoll Nutzen und Schönheit von Intransparenz und Geheimnis am Anderen, wenn es denn mit Zweien die sich zusammentun klappen soll.

 

Der Plot ist übersichtlich, die Atmosphäre jedoch detailreich, packend und dicht. Der britische Inlandsgeheimdienst MI5, verunsichert durch Ölkrise, rabiate Gewerkschaften und eine radikale IRA startet 1972 ein nationales Wiederaufforstungsprogramm für den Literaturbetrieb. Systemgenehme Tendenzen, Romane und Erzählungen sollen (auch finanziell) unterstützt und gefördert werden – eine Art Bitterfelder Weg mit Linksverkehr. Lockvogel und Honigfalle Serena, sowohl belesen als auch attraktiv, wird, mit Stipendiengeld winkend, auf den jungen Schriftsteller Tom Haley angesetzt, verfällt erst seinen Erzählungen, dann ihm selbst und steht bald vor schweren Zielkonflikten. Und nicht nur sie. Auch ist sie nicht die einzige Person, die mit verdeckten Karten arbeitet…

 

Sex, Politik, Spionage und Literatur tanzen in bunten Hemden mit Haifischkragen tastend und prüfend um das Feuer der Wahrheit. McEwan zieht in diesem Spiegellabyrinth wechselseitigen Blendwerks gekonnt die Fäden - vor allem aber jedoch jenen einen roten, der völlig überraschend dann, am Ende, doch ins Freie führt. Ein grandioser Schlussakkord für den allein das Buch schon lohnt. 

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Abschiedswalzer - langsame Runde

Jochen Schmidt: Schneckenmühle

„Schneckenmühle“ von Jochen Schmidt im Staatsschauspiel Dresden. „Im Theater gewesen. Geweint.“ könnte man bedeutungsschwanger Kafka zitieren – und würde damit gleich zweimal falsch liegen. Zum einen war Franz bekanntlich im Kino, zum anderen ist das Theaterstück ein gutes, aber nicht die „Axt für das gefrorene Meer in uns“, die Kafka von (über)großer Literatur einfordert. Die Inszenierung leistet Ordentliches, allerdings nur wenig mehr, als es das Buch in seiner schmalen Größe von knapp 200 Seiten schon von selber kann.

Das ist indessen nicht wenig und so empfiehlt es sich auf jeden Fall auch (oder doch gleich) zum Original zu greifen: ein feiner, leiser und eindrücklicher Coming-of-Age-Roman über die großen und kleinen bedeutsamen Dinge im privaten Echoraum ostdeutscher Jugend kurz vor dem Mauerfall.

 

Der 14jährige Jens darf zum letzten Mal ins sächsische Ferienlager Schneckenmühle (das es wirklich gibt) fahren. Es ist der Sommer 1989, Österreich und Ungarn erlangen eine weltpolitische Bedeutung wie schon seit langem nicht mehr und die gesellschaftlichen Erschütterungen dringen bis in das zunächst geordnete Lagerleben vor und bringen nach und nach auch diese Kleinstruktur des Arbeiter- und Bauernstaates ins Wanken. Das Große spiegelt sich, wie gehabt, im Kleinen, aber nicht nur. Dieses behält daneben auch seinen persönlichen erinnerungsautonomen Eigenwert: History und his story eben.

Jochen Schmidt hat denn auch keinen politischen Roman geschrieben und ebenso wenig einen großen emanzipatorischen Plot inszeniert, sondern er hat, stilistisch gekonnt, ein vielfältig verflochtenes Erinnerungsnetz auf seine eigene Kindheit, ein Stimmungsbild der Endachtziger Jahre, ausgeworfen. Und zieht es ein mit reichem Fang. Capotes „Grasharfe“ und Kunzes „Die wunderbaren Jahre“ müssen als Pilotpunkte natürlich runterskaliert werden, können aber eine Ahnung vermitteln worum es in etwa geht.

 

Wie es klang und schmeckte, wie es sich anfühlte damals dort zu sein, dies hat er sich jedoch ziemlich gut bei einem Klassiker abgeschaut, den er intensiv, vollständig und vor allem öffentlich in einem legendären Blog studiert hatte. War es bei Marcel Proust, die Madelaine, jenes, jede Erinnerung bis ins kleinste Detail herauf beschwörende, Teegebäck - so könnte man diese Rolle im Schmidtschen Erinnerungsprojekt durchaus einem sächsischen Bäckereiprodukt zuschreiben: der Eierschecke. Jede Zeit schafft so ihre Symbole.

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Die Zukunft als Handabzug

Georg Klein: Die Zukunft des Mars

Triangulation heißt eine bewährte Methode beim praktischen Orientieren im Gelände. Dasjenige, um das es geht wird von drei verschiedenen Positionen angepeilt und so fest im Netz des Vergleichbaren eingefangen. Wenn man den neuen Roman von Georg Klein auf diese Weise verorten möchte ergibt sich als kleineres Problem: auch die ihn umgebenden Peilungseckpunkte sind ebenso auf wundersame Weise aus der Zeit gefallen (und daher zeitlos empfehlenswert): Zulawski: Auf dem Silbermond, Fries: Verlegung eines mittleren Reiches und Bradbury: Die Marschroniken.

Georg Klein hat einen dunkel glimmenden Marsroman geschrieben, eine Zukunftsroman, gewiss, aber einen im Futur Zwei – so wird es gewesen sein. Einen magisch rot schimmernden Retro-Science-Fiction, voll mit Staub, Verhängnis und Legenden. Eine Zukunft, die es gegeben haben könnte, wenn unsere Geschichte früher einen anderen Abzweig genommen und die Menschheit schon in den Zwanziger Jahren in den Weltraum vorgedrungen wäre.

 

Die erste Marskolonie geht hier  ihren einsamen Weg durch das Dunkel der eigenen Geschichte in einer analphabetischen Kultur von verstörender Schönheit. Strom ist nicht (deshalb vielleicht), kein Computer und kein Internet. Vom E-Book ganz zu schweigen – „heilige Bücher“ im „Sonnenhaus“ übernehmen eine Quellen und Orientierungsfunktion. Und natürlich gibt es dann den einen, der sich die versunkene Kulturtechnik Lesen doch noch aneignet und alles, alles kommt ins Rutschen…

 

An die Erde, die sich in einem desolaten Zustand befindet, knüpfen die die Siedler nur noch vernebelte Legenden. Doch auch hier geschieht Einiges. Der alte Sprithoffer, Reparaturmeister von elektrischen Geräten, die dem Großen Winter zum Opfer fielen, gabelt am Rande des chinesischen Protektorats eine sibirische Mutter und deren Tochter auf um die abgerissene Verbindung zu den Kolonisten wieder neu zu knüpfen.

 

Alles fügt sich und der Roman endet melancholisch und sehnsuchtsvoll zart  wie der Sepiaton eines 500 Jahre alten Handabzugs vom Startgelände (und nicht wie sonst in einem Massensterben) und auch dafür möchte man Georg Klein danken, und natürlich für dieses wunderbare Buch, das uns betrifft und angeht, und wir wissen nur noch nicht wie und  wo und warum.